Kurzbeschreibung
Titel: Villa Unruh – Oder: Warum man Schicksal nicht mit Hygiene-Spray bekämpfen kann Genre: Humoreske / Alltags-Satire
Inhalt: Paul Herbert hatte einen einfachen Plan: heiraten, Vater werden und ein ruhiges Leben führen. Doch kaum ist er mit seiner schwangeren Frau Sabine in die „Villa Unruh“ gezogen, wird der Name des Hauses zum Programm. Paul findet sich in einem Bermuda-Dreieck des Wahnsinns wieder: Unter ihm wohnt ein Hausmeister-Konkurrent mit einer Vorliebe für fremde Damenunterwäsche, über ihm veranstaltet Familie Reinhard lautstarke Beischlaf-Orgien, und sein bester Freund Farhad sorgt stets für neue Verwirrung.
Als wäre der hormonelle Ausnahmezustand seiner Frau und die Übergriffigkeit seiner Schwiegereltern nicht genug, droht nun der finale Kollaps. Nach einer Reihe von Missverständnissen und familiären Katastrophen steht Pauls größter Albtraum vor der Tür. Er rechnet mit dem Einzug seiner bissigen Schwiegermutter – doch was wirklich über die Schwelle tritt, hat vier Beine, eine schwache Blase und das Potenzial, Pauls frisch renoviertes Leben endgültig in Schutt und Asche zu legen. Willkommen in der Villa Unruh, wo der Wahnsinn nicht nur zu Besuch kommt, sondern Einzug hält.
Leseprobe
Samstag, 11:01 Uhr
Sabine riss die Wohnungstüre auf und erwartete ihren Vater, vielleicht mit einem Koffer, vielleicht mit Hundefutter, aber sicher mit einem Lächeln. Hans Herbert stand tatsächlich dort, allerdings ohne Lächeln. Er wirkte gehetzt, wie ein Mann, der eine scharfe Handgranate hielt und dringend jemanden suchte, dem er sie in die Hand drücken konnte. Die Handgranate hatte Schlappohren, tricolorfarbenes Fell und sah aus wie eine Presswurst auf vier zu kurz geratenen Beinen.
»Hier!«, rief Hans, drückte Sabine die Leine in die Hand und machte bereits auf dem Absatz kehrt. »Papa? Willst du nicht reinkommen? Einen Kaffee?«, rief Sabine ihm verwundert hinterher. »Keine Zeit!«, schallte es aus dem Treppenhaus zurück, begleitet vom schnellen Klappern seiner Schuhsohlen auf den Stufen. »Viel Spaß mit ihr, sie hat heute noch nicht gefressen, dürfte also pflegeleicht sein! Und Sabine?« Hans blieb kurz auf dem Treppenabsatz stehen, drehte sich halb um und sah seine Tochter mit einem Blick an, den man sonst nur Überlebenden einer Katastrophe zuwarf. »Lass die Fenster auf. Vertrau mir einfach!« Damit war er verschwunden. Die Haustüre fiel ins Schloss, ein Motor heulte auf, Reifen quietschten. Hans Herbert war auf der Flucht.
Paul stand nun hinter seiner Frau im Flur und betrachtete den Neuzugang. Lilli, die Beagledame, stand regungslos auf der Fußmatte. Sie sah nicht aus wie ein Hund, der biss. Sie sah aus wie ein Hund, der in den letzten fünf Jahren hauptsächlich aus Leberwurstbroten und Sahnetorte bestanden hatte. Ihr Körperbau glich einer Tonne, die auf vier Streichhölzern balancierte. »Na, du bist ja eine Süße«, säuselte Sabine und ging in die Hocke. Lilli reagierte nicht. Sie starrte mit glasigen Augen an Sabine vorbei in den Flur, direkt auf den teuren, cremefarbenen Läufer, den Paul erst letzte Woche gegen den ausdrücklichen Rat seines Vaters gekauft hatte.
»Sie wirkt sehr... in sich gekehrt«, bemerkte Paul skeptisch. »Sie hat Heimweh, das arme Ding«, diagnostizierte Sabine sofort, löste die Leine und streichelte dem Tier über den massiven Kopf. »Komm rein, Mausi. Onkel Paul und Tante Sabine zeigen dir dein neues Zuhause.« »Onkel Paul möchte anmerken, dass Onkel Paul nicht damit einverstanden ist, als Onkel eines Hundes bezeichnet zu werden«, brummte er, trat aber dennoch zur Seite, um den Weg freizumachen.
Lilli setzte sich in Bewegung. Es war kein Gehen, es war ein Watscheln. Ein rhythmisches Schieben von Masse. Schritt für Schritt arbeitete sie sich in den Flur vor, passierte die Garderobe und bog in das Esszimmer ein. Paul folgte ihr, fasziniert von der Physik, die diesen Körper aufrecht hielt. Plötzlich blieb der Hund stehen. Mitten im Raum, genau zwischen Esstisch und der offenen Tür zum Wohnzimmer, fror die Bewegung ein.
»Was hat sie?«, fragte Sabine. Paul lauschte. Aus dem Inneren des Hundes drang ein Geräusch. Es klang tief, grollend und tektonisch. Wie das Verschieben von Erdplatten kurz vor einem Vulkanausbruch. »Ich glaube, sie muss mal«, sagte Paul und wollte gerade vorschlagen, den Garten als erste Anlaufstelle zu nutzen. Doch es war zu spät.
Samstag, 11:15 Uhr – Das Ereignis
Lilli krümmte den Rücken. Ihr Blick wurde starr, richtete sich auf einen Punkt in der Unendlichkeit. Sie spreizte die Hinterbeine in einem Winkel, der anatomisch bedenklich wirkte, und dann... geschah es. Es war kein normaler Vorgang der Ausscheidung. Es war eine Naturgewalt. Was den Körper des Beagles verließ, widersprach jeglichem Gesetz der Massenerhaltung. Der Hund, der laut Hans Herbert „heute noch nichts gefressen“ hatte, musste offensichtlich in den Tagen zuvor einen kompletten Elefanten, inklusive Rüssel und Stoßzähnen, verspeist haben.
Zuerst bildete sich ein solider Sockel. Ein Fundament aus brauner Materie, breit und fest. Paul starrte fasziniert und entsetzt zugleich auf das Schauspiel. »Sabine...«, krächzte er. »Oh Gott, die Arme!«, rief seine Frau, hielt sich aber wohlweislich die Hand vor Mund und Nase.
Lilli war noch lange nicht fertig. Auf dem Sockel baute sie auf. Schicht um Schicht wuchs der Haufen in die Höhe. Es war, als würde ein unsichtbarer Töpfer am Werk sein, der bestrebt war, einen neuen Turm zu Babel zu errichten, nur eben aus Scheiße. Der Haufen wuchs. Er überschritt die Höhe, die man einem mittelgroßen Hund zutrauen würde. Er erreichte Dimensionen, die man eher bei einem ausgewachsenen Bären oder einem sehr kranken Bison vermuten würde. Es dampfte.
»Das... das hört nicht auf«, flüsterte Paul. Er wollte wegsehen, konnte es aber nicht. Es war wie bei einem Unfall, man musste hinsehen. Der Berg formte sich zu einem Gebirge. Einem massiven, braunen Alpengipfel mitten im Esszimmer der Herberts. Lilli zitterte, drückte, und setzte dem Ganzen noch eine zweite Spitze auf, einen Nebengipfel sozusagen, bevor sie mit einem tiefen, erleichterten Seufzer einen Schritt nach vorne machte. Der Haufen blieb stehen. Majestätisch. Bedrohlich. Ein Monument der Verdauung.
Dann kam der Geruch. Er kroch nicht langsam in die Nase, er schlug die Tür ein und verprügelte die Geruchsnerven mit einem Baseballschläger. Es roch nach Verwesung, nach alten Eiern, nach Gülle und nach etwas, das Paul nicht definieren konnte, das aber vermutlich in der Genfer Konvention als chemische Waffe verboten war.
»Fenster!«, schrie Paul. Seine Stimme überschlug sich. »Alle Fenster! Jetzt!« Sabine reagierte sofort, riss die Balkontür auf und flüchtete halb würgend auf die Terrasse. Paul hielt sich das T-Shirt über die Nase, die Augen tränten, als hätte man Tränengas im Raum gezündet. Lilli hingegen wirkte wie ausgewechselt. Der Ballast war abgeworfen. Schwanzwedelnd drehte sie sich zu ihrem Meisterwerk um, schnüffelte kurz an dem Himalaya-Massiv, das sie erschaffen hatte, und sah Paul dann erwartungsvoll an. Na?, schien ihr Blick zu sagen. Kannst du das auch?
Samstag, 11:25 Uhr
Paul stand mit zwei Kehrschaufeln – einer aus Metall für den Kamin und der normalen aus Plastik – vor dem Gebirge. Er hatte sich einen Schal um das Gesicht gebunden und sah aus wie ein Bandit aus einem schlechten Western, der gleich eine Bank überfallen wollte. Nur dass er keine Bank überfallen, sondern Sondermüll beseitigen musste.
»Ist es weg?«, rief Sabine von der Terrasse herein. »Weg?«, rief Paul dumpf durch den Schal zurück. »Schatz, wir brauchen keinen Kotbeutel, wir brauchen einen Container! Oder einen Schaufelradbagger! Ich überlege ernsthaft, ob es nicht einfacher wäre, umzuziehen und das Haus abzubrennen!«
Vorsichtig setzte er die Kaminschaufel an. Die Statik des Haufens war erstaunlich stabil. Er schaufelte. Einmal, zweimal. Der Eimer, den er bereitgestellt hatte, war nach der ersten Fuhre halb voll. »Unfassbar«, murmelte er. »Physikalisch vollkommen unmöglich.« Während er die Hinterlassenschaften abtrug wie ein Archäologe, der eine antike Stätte freilegte, hörte er im Treppenhaus Schritte. Natürlich. Es konnte nicht anders sein. Die Wohnungstür stand noch einen Spalt offen, um Durchzug zu gewähren. Herr Pojáca steckte den Kopf herein.
»Nanu?«, krächzte die geierhafte Stimme. »Riecht es hier nach Gas? Haben sie ein Leck? Oder kocht ihre Frau wieder diesen Kohlauflauf?« Paul erstarrte mit der vollen Schaufel in der Hand. Er drehte sich langsam zum Flur um. Über dem Rand des Schals funkelten seine Augen böse. »Herr Pojáca«, sagte er mit einer Ruhe, die ihn selbst überraschte. »Wenn Sie nicht wollen, dass ich Ihnen gleich demonstriere, wie man einen Misthaufen anatomisch korrekt in einer menschlichen Körperöffnung verstaut, dann verschwinden Sie. Jetzt.«
Pojáca schnupperte. Seine Nase kräuselte sich. Er sah den Eimer. Er sah den Rest des Gebirges auf dem Boden. Er sah den Hund, der fröhlich hechelnd neben der Katastrophe saß. »Ah. Ein Hund. Wie reizend. Aber die Abluft... das zieht nach oben, wissen sie? Nach dem Immissionsschutzgesetz wäre zu prüfen, ob...« Paul machte einen Schritt mit der Schaufel auf die Tür zu. Die Tür knallte zu. Schritte hasteten die Treppe hinauf.
Samstag, 12:10 Uhr
Der Teppich war ruiniert. Trotz Teppichschaum, Essigessenz und einer halben Flasche Wodka (zur Reinigung, nicht zum Trinken, obwohl Paul kurz davor war), war der dunkle Fleck nicht zu übersehen. Der Geruch hingegen war hartnäckiger. Er hing in den Gardinen, er klebte an der Tapete. Paul und Sabine saßen auf der Terrasse. Lilli lag zu ihren Füßen und schlief den Schlaf der Gerechten, wobei sie leise schnarchte und hin und wieder im Traum zuckte.
»Papa wusste es«, sagte Sabine leise. Sie starrte in den Garten. »Natürlich wusste er es«, antwortete Paul und zündete sich eine Zigarette an. »Deswegen ist er gefahren wie ein Henker auf der Flucht. Er hat uns keine Bombe gebracht, Sabine. Er hat uns einen Bioreaktor auf vier Beinen geschenkt.« »Glaubst du, das war eine einmalige Sache? Vielleicht... vielleicht war es die Aufregung?« Paul sah den Hund an. Lilli öffnete ein Auge, furzte leise – ein Geräusch wie entweichende Luft aus einem Ballon – und schlief weiter. Der Geruch, der zu ihnen herüberwehte, beantwortete die Frage.
»Nein«, sagte Paul fatalistisch. »Das ist unser neues Leben. Wir sind jetzt Sklaven eines Darmsystems.« Er zog an seiner Mentholzigarette. »Weißt du, was das Schlimmste ist?« »Dass der Teppich hin ist?« »Nein. Dass ich jetzt weiß, warum der Geier von oben immer so schnell verschwindet, wenn es nach Arbeit riecht. Ich beneide ihn. Ich wäre vorhin auch gerne einfach gegangen.«
Paul drückte die Zigarette aus. Er sah seine Frau an, sah auf ihren Bauch, in dem sein Kind heranwuchs, und dann auf den stinkenden Hund zu seinen Füßen. »Willkommen in der Villa Unruh«, seufzte er. »Wo man Scheiße schaufelt, während die Nachbarn Gesetze zitieren.« Sabine lehnte sich an ihn. »Aber du hast sie verteidigt. Gegen Pojáca.« »Ich habe mein Revier verteidigt«, korrigierte Paul. »Und meinen Stolz. Niemand beleidigt meine Haufen. Wenn hier einer stinkt, dann sind wir das.« Er nahm Lilli, die wach geworden war, am Halsband. »Komm, Godzilla. Wir gehen Gassi. Bevor du auf die Idee kommst, den Mount Everest noch durch den K2 zu ergänzen.«
ENDE...
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